Die Einführung des Bürgergeldes soll das ALGII in Zukunft ersetzen. Es verspricht, sowohl soziale Teilhabe zu garantieren als auch die Würde des Einzelnen zu wahren. Leider klaffen Zielsetzung und vage formulierte Maßnahmen weit auseinander.
Denn das vermeintlich neuartige Wohlfahrtswerkzeug ist alles andere als innovativ. So baut es weiterhin auf dem Uralt-Prinzip des “Fordern und Förderns” auf. Allenfalls wurde das Fordern um das Fördern ergänzt.

Ja, Kinder und Jugendliche, die in Bedarfsgemeinschaften mit ALGII-Beziehenden leben, dürfen bald Geld, dass sie in etwaigen Nebentätigkeiten verdienen, behalten.
Und ja, unter 25-Jährige sollen gleich behandelt werden, so dass sie nicht länger unter härteren Auflagen leiden und resignieren.
Und ja, das Schonvermögen wird in den ersten zwei Jahren der Arbeitslosigkeit nicht länger angerechnet.
All diese Maßnahmen sind insofern wichtig, als dass sie längst überfällige Mindeststandards sichern. Doch die Fehler eines inhärent destruktiven Wohlfahrtssystems zaghaft auszubügeln und unbeliebte Begriffe durch schönklingendere zu ersetzen, macht das System an sich weder nachhaltig noch sozial, vom menschenwürdigen Umgang ganz zu schweigen.

Der Kontakt der Behörden mit den Betroffenen ist von Misstrauen, Intolernanz und Abneigung geprägt. Bezugspersonen auf den Ämtern werden regelmäßig gewechselt. So kann bei kaum einen Kontakt an das Vorwissen des Gegenübers zur Situation der Betroffenen angeknüpft werden und die Korrespondenz wird unnötig in die Länge gezogen. Selbst die ausgepfeiltesten Schreiben werden nur unsauber bearbeitet, so dass es zu unnötigen Kürzungen von Bezügen kommt, die den Betroffenen aber im Zweifel die Füße unter dem Boden wegreißen. Wer gegen Bescheide Beschwerde einlegen will, braucht Mut, Ausdauer und muss im Zweifel Monate, wenn nicht Jahre auf die Anerkennung und Erstattung der zu erbringenden und rechtmäßigen Leistungen warten. Gerade junge Betroffene in Ausbildung mit Kindern müssen sehr häufig Änderungen vornehmen, deren Erfassung und Anrechnung oft Monate in Anspruch nimmt. Ein solches System beizubehalten, kann für eine Koaltion, die sich soziale Gerechtigkeit auf die Fahnen schreibt, nicht das Ziel sein.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband fordert einen Regelsatz in Höhe von 644 Euro, um Einkommensarmut abzuschaffen und soziokulturelle Teilhabe überhaupt erst zu ermöglichen. Da der bisherige Regelsatz von 449 Euro nicht weiter erhöht werden soll, beträgt seine Differenz zum geforderten Betrag stolze 195 Euro. Geld, das Anspruchsberechtigten an allen Enden fehlt. Zum einen wird “verdeckte Armut” bei der Berechnung des Existenzminimums nicht ausgeklammert, was den Betrag weiter drückt. Zum anderen werden einige Konsumgüter zusätzlich vom Minimalbedarf abgezogen, darunter Blumen, Tabak, Haustiere und Alkohol. Findet Frauchen keinen Arbeitsplatz, muss sich Vierbeiner Rex nach einem neuen Zuhause umsehen. Logisch.

Zunehmende Digitalisierung und intelligente Robotik erobern den modernen Arbeitsmarkt und werden zunehmend Arbeitsplätze kosten. Darauf ist unser Sozialsystem schlichtweg nicht vorbereitet. Soziale Ungleicheit und Gesellschaftliche Spaltung sind die Folgen. Um für Morgen gewappnet zu sein, braucht es solche Veränderungen, die den aktuellen Entwicklungen endlich gerecht werden:

  • Ein bedingungsloses Grundeinkommen, das marginalisierende Bedürftigkeitsprüfungen ausspart und Menschen eigenverantwortlich handlungsfähig macht.
  • Eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit, die Arbeit nicht nur besser aufteilt, sondern auch den Mythos der Leistungsgesellschaft neuschreibt.
  • Und eine bessere Anerkennung und Entlohnung von Arbeit, die tatsächlichen gesellschaftlichen Mehrwert produziert, statt steigende Gehälter in Banken und Beratungsunternehmen zu tolerieren.

Menschen brauchen keinen paternalistischen Staat, der sie überwacht und ihr Leben in die richtigen Bahnen lenkt. Sie fordern und fördern sich ganz von selbst, wenn man sie nur lässt. Und Menschen brauchen kein Reförmchen. ALGII in Bürgergeld umzunennen, aber inhaltlich nur kleine Veränderungen vorzunehmen, wird einer der größten Industrienationen der Erde nicht nur nicht gerecht, diese allenfalls kosmetischen Änderungen sorgen bei den Betroffenen für noch mehr Politikverdrossenheit.

Ein Gedanke zu „Bürgergeld – Am Zeitgeist vorbei“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.